Pflegebedürftigkeit betrifft irgendwann fast alle alten Menschen. Für sie und ihre Angehörigen bleibt es dennoch oft ein schwer zu überblickendes Thema.
Tipp 1: Pflegegrad vs. Pflegestufe
Mehmet ist 60 Jahre alt. Jede Woche geht er seinen Vater Mustafa besuchen. Der wohnt alleine; Mehmet bringt Einkäufe und Zeit für eine Tasse Tee mit. Mustafa würde man auf den Blick als rüstigen Rentner bezeichnen. Er ist zwar schon 85 Jahre alt. Doch ist er noch flott auf den Beinen und überholt bei seinen täglichen Spaziergängen so manchen trödeligen Hipster auf den Straßen Berlins.
Mehmet hat allerdings ein Problem. Mustafa ist dement und dies schon im fortgeschritteneren Stadium. Manchmal kommt er von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause und Mehmet muss ihn suchen. Mustafa vergisst seine Medikamente, den Abwasch und die Lebensmittel im Kühlschrank. Er schließt teure Abos ab und kauft sich einen neuen Sportwagen. Mehmet müsste viel öfter zu Besuch kommen oder sein Vater bräuchte eine bessere professionelle Betreuung. Doch gibt es dafür genug Geld von der Pflegekasse?
Diesen Fall habe ich einem von mir bearbeiteten Mandant nachgezeichnet. Das liegt schon einige Zeit zurück und so stellte sich die Frage nach der Unterstützung von der Pflegeversicherung noch dem alten Recht der Pflegestufen. Damals gab es im Wesentlichen drei Pflegestufen. Die Einstufung erfolgte danach, wie viel Zeit die für eine Person notwendige Hilfe benötigt.
Die Pflegestufe I gab es erst bei 90 Minuten Pflegebedarf täglich. Für Pflegestufe II waren 180 Minuten nötig, für Pflegestufe III 300 Minuten. Bewertet wurden dabei vor allem körperliche Fragen, zum Beispiel ob die Person eigenständig essen, sich anziehen oder für Bewegung sorgen kann. Demenzkranke Menschen erreichten dabei häufig nicht einmal die Pflegestufe I. Mustafa kommt von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause? Naja, jedenfalls kann er noch gehen. Er vergisst zu essen? Aber er kann doch noch kochen. Mustafa verprasst sein ganzes Geld? Egal, er kann noch schreiben und sprechen.
Aufgrund dieser Mängel wurde das System reformiert und zum Jahresbeginn 2017 die Pflegegrade eingeführt. Es gibt nun fünf Pflegegrade. Die Einstufung erfolgt zwar nach wie vor mittels einer Begutachtung und eines Fragebogens. Dort spielen aber psychische und kognitive Beeinträchtigungen der Selbsthilfefähigkeit der pflegebedürftigen Person eine deutlich größere Rolle als allein körperliche Gebrechen. Auch der reine Zeitaufwand für Pflegepersonal/Angehörige hat ein geringeres Gewicht als zuvor bei den Pflegestufen. Es kommt mehr auf Fähigkeit der Person an, ein selbstständiges Leben zu führen.
Tipp 2: Wann gibt es welchen Pflegegrad?
Für die Frage, wann es welchen Pflegegrad gibt, kommt es auf das Maß der Schwierigkeiten an, die eine pflegebedürftige Person daran hindern, ein selbstständiges Leben zu führen. Um dies zu bestimmen, wird die betroffene Person mittels eines Kataloges von Fragen aus sechs Lebensbereichen begutachtet.
Je nachdem wie viel Kriterien erfüllt werden und wie diese zu gewichten sind, werden die Pflegegrade zugeteilt (§ 15 Abs. 3 SGB XI). Zum Beispiel gibt es den Fragenkatalog auf der Seite des Sozialverbandes Deutschland [PDF].
Tipp 3: Wie viel Geld gibt es bei welchem Pflegegrad?
Das Sozialgesetzbuch XI sieht verschiedene Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vor. Eine Übersicht findet sich in § 28 SGB XI. Es werden dabei verschiedene Leistungsarten mit ihren jeweiligen Höchstsummen unterschieden. Dazu folgende Übersicht:
Pflegesachleistungen | Pflegegeld | Vollstationäre Pflege | |
Pflegegrad 1 | – | – | 125 Euro |
Pflegegrad 2 | 724 Euro | 316 Euro | 770 Euro |
Pflegegrad 3 | 1.363 Euro | 545 Euro | 1.262 Euro |
Pflegegrad 4 | 1.693 Euro | 728 Euro | 1.775 Euro |
Pflegegrad 5 | 2.095 Euro | 901 Euro | 2.005 Euro |
Bei der vollstationären Pflege fließt der Geldbetrag als Zuschuss an das Pflegeheim. Seit Januar 2022 gibt es hier außerdem einen weiteren besonderen Zuschlag. Die Beträge der Pflegesachleistungen erhalten Pflegebedürftige, die zu Hause von Angehörigen oder einem Pflegedienst betreut werden. Trotz des Begriffes „Sachleistungen“ fließt natürlich Geld.
Allerdings muss die Verwendung mit Rechnungen belegt werden und nur die belegte Höhe, nicht die angegeben Maximalsummen werden tatsächlich gezahlt. Pflegegeld erhält, wer ehrenamtlich Hilfe zu Hause für eine pflegebedürftige Person leistet (Angehörige, Freunde, Nachbar:innen). Neben diesen gibt es einige weitere Leistungen (zum Beispiel Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Entlastungsleistungen, Wohnraumanpassung, Hilfsmittel im Pflegeheim; siehe § 28 SGB XI).
Tipp 4: Antragstellung und Rechtsmittel (Widerspruch, Klage)
Den Weg zum Erhalt von Pflegegrad und den entsprechenden Leistungen möchte ich Ihnen in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung darstellen:
- Antrag bei der Gesetzlichen Pflegeversicherung. Diese ist der Krankenkasse zugeordnet; Sie können sich also einfach an jene wenden. Ein formloser Antrag genügt, zum Beispiel eine einfache Nachricht per E-Mail.
- Die Pflegeversicherung wird Ihnen nun Unterlagen zuschicken und einen Termin zur Begutachtung der pflegebedürftigen Person vorschlagen.
- Die Begutachtung wird durchgeführt. Angehörige dürfen anwesend sein.
- Das Ergebnis trifft ein. Ein Pflegegrad wird per „Bescheid“ zuerkannt.
- Damit können Sie nun die einzelnen Leistungen der Pflegeversicherung beantragen!
Sind Sie mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden, zum Beispiel weil wichtige Aspekte vergessen wurden oder zu geringer Pflegegrad zuerkannt wurde, empfehle ich Ihnen, Widerspruch einzulegen. Dazu genügt ebenfalls ein formloses Schreiben an die Pflegeversicherung. Informationen dazu müssten auch auf dem Bescheid zu finden sein. Vorsicht: Die Frist zum Widerspruch beträgt einen Monat. Sie können den Widerspruch alleine einlegen oder schon an dieser Stelle eine:n Anwält:in einschalten. Spätestens bei abgelehntem Widerspruch und dann notwendiger Klage ist dies sehr zu empfehlen.