Muss man falsch überwiesenes Geld dem Jobcenter zurückgeben?

Wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auszieht und dem Jobcenter sein neues Konto benennt, muss es keine Rückforderung wegen falsch überwiesenem Geld leisten.

Schon das gewöhnliche Verhältnis zwischen Jobcenter und einer Hartz IV leistungsberechtigten Person kann sehr kompliziert werden. Vermögen, Nebenjob, Bewilligungszeitraum, Mietkaution, Sanktionen und Rückzahlung überzahlter Nebenkosten – alles kann durcheinander geraten und am Schluss sieht man sich einer ungerechtfertigten Rückforderung des Jobcenters ausgesetzt.

Mit dieser Situation sah sich ein junger Mandant von mir konfrontiert. Bei ihm kam erschwerend dazu: Er lebte noch bei seiner Mutter und allein deren Konto war dem Jobcenter bekannt. Da die beiden eine Bedarfsgemeinschaft bildeten, ist das rechtlich kein Problem. Und auch finanziell war niemand beschwert, da die beiden schließlich beisammen lebten.

Mein Mandant hatte nun jedoch seine Ausbildung beendet und wollte mit deren Abschluss auch in eine neue Wohnung ziehen. Vor dem Umzug hatte er das Jobcenter informiert und gesagt, dass er sein Geld zukünftig auf sein eigenes Konto überwiesen bekommen haben will. Aufgrund einer intern verzögerten Bearbeitung überwies das Jobcenter jedoch noch ein Mal die monatliche Leistung meines Mandanten auf das alte Konto der Mutter. Eindeutig falsch überwiesenes Geld also!

falsch überwiesenes Geld
Wenn das Amt vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, geht manches verloren. (Foto: Alex Smith)

Erst falsch überwiesenes Geld, dann ein böser Brief vom Jobcenter

In den Briefkasten meines Mandanten flatterte einige Zeit darauf die Aufforderung des Jobcenters, das fälschlicherweise an die Mutter gezahlte Geld zurückzuzahlen. Dieser war reichlich erstaunt und besorgt. Seine Mutter hatte niemals gesagt, dass sie zu viel Geld erhalten hatte. Sie und mein Mandant verstanden sich auch nicht mehr gut, sodass er nichts über den Verbleib der überzahlten Leistungen herausfinden konnte. Woher nun das Geld für die Rückzahlung nehmen?

Am besten gar nicht der Aufforderung des Jobcenters folgen! So sagte es sich glücklicherweise auch mein Mandant. Gemeinsam konnten wir die Forderung des Jobcenters in einem Verfahren beim Sozialgericht Berlin abwehren (Az. S 144 AS 7065/11).

Hinweis: Diese häufiger auftauchenden Fälle haben alle ihre jeweiligen Besonderheiten. Man kann daher nicht generell sagen, dass ausziehende Kinder nichts zurückzahlen müssen. Es zählt der Einzelfall, aber oft gibt es genug Möglichkeiten, eine Erstattungsforderung zurückzuweisen!

Schwerbehinderung: Antworten auf die 6 wichtigsten Fragen

Was bedeuten Schwerbehinderung und Grad der Behinderung? Welche Leistungen stehen mir zu? Als Fachanwalt für Sozialrecht beantworte ich die wichtigsten Fragen.

1. Was bedeutet Behinderung im sozialrechtlichen Sinne?

Der Begriff der Behinderung hat sich im Laufe der Zeit entwickelt. Früher wurden hauptsächlich die (vermeintlichen) Funktionsdefizite von Körper und Verstand eines Menschen betrachtet. Heute wird die Behinderung ganzheitlicher gesehen. Zum einen wird auch die seelische Gesundheit (Depressionen, etc.) beachtet. Zum anderen kommt es auf die Wechselwirkungen mit der Gesellschaft an. Ein anders gearteter Körper wird nur dann zur Behinderung, wenn die Gesellschaft mit ihren Regeln und ihrer Lebensweise eine Behinderung daraus macht. Das Gesetz spricht von „einstellungs- und umweltbasierten Barrieren“ (§ 2 SGB IX). Eine Behinderung im sozialrechtlichen Sinne liegt deshalb unter folgenden Voraussetzungen vor:

  1. Der körperliche, geistige oder seelische Zustand einer Person unterscheidet sich von dem des Bevölkerungsdurchschnitts.
  2. Der Zustand ist chronisch (länger als sechs Monate). Es genügt ein drohender (chronischer) Zustand.
  3. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ist dadurch beeinträchtigt. Es handelt sich um alle vorstellbaren Schwierigkeiten, vom Gehen über das U-Bahn-Fahren bis zum Arbeiten, etc.

2. Was ist der sogenannte Grad der Behinderung? (Tabelle)

Nun wiegt nicht jede Behinderung gleich schwer. Manche beeinträchtigen das gemeinschaftliche Leben mehr, andere weniger. Daher werden je nach Schwere auch unterschiedliche Leistungen zuerkannt. Im Sozialrecht wird zwischen Graden von Behinderung unterschieden, die in 10er-Schritten von 0 bis 100 aufgebaut sind (ähnlich wie Prozente).

Welcher Zustand und welche Krankheit und Beeinträchtigung zu welchem Grad der Behinderung führen, ist gesetzlich relativ genau festgelegt. Die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) enthält in ihrer Anlage eine umfassende Auflistung/Tabelle von Gesundheitsstörungen sowie die zugehörigen Grade der Behinderung.

Die konkrete Bestimmung des Grades der Behinderung einer Person erfolgt durch eine: ärztliche:n Gutachter:in. Aus der Praxis weiß ich, dass die Begutachtung durchaus fehleranfällig ist. Widerspruch und Klage können sich lohnen!

Hinweis: Liegen aufgrund mehrerer Beeinträchtigungen auch mehrere Grade der Behinderungen vor, kommt es nicht einfach zur Addition. Es wird vielmehr der höhere Grad der Behinderung als Ausgangsbasis genommen. Sodann gibt es einen Aufschlag für die weiteren Beeinträchtigungen in ihrer Wechselwirkung zueinander. Klingt kompliziert? Ist es auch – und daher ebenfalls eine häufige Fehlerquelle beim Thema Schwerbehinderung.

3. Was bedeutet Schwerbehinderung?

Schwerbehindert ist, wer einen Grad der Behinderung von 50 aufweist. Das ist deshalb bedeutsam, da sich hieran besondere rechtliche Folgen anschließen. Personen mit einem solchen GdB erhalten erweiterte Leistungen (siehe unten) und einen Schwerbehindertenausweis.

Personen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 30 können Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Das heißt, sie haben im Grundsatz Anspruch auf dieselben Leistungen. Diese Gleichstellung steht allerdings unter einer Voraussetzung. Die Beeinträchtigung muss konkret dazu geeignet sein, die Teilnahme am Arbeitsleben zu gefährden, zum Beispiel durch häufige Fehlzeiten, geringere Belastbarkeit oder eingeschränkte Mobilität infolge der Behinderung. Die dann mit der Gleichstellung zur Schwerbehinderung folgenden Leistungen stehen mit diesen Nachteilen im Zusammenhang: besonderer Kündigungsschutz, behindertengerechte Arbeitsplatzausstattung, Beschäftigungsanreize für Arbeitgeber, etc.

4. Was sind Merkzeichen und welche gibt es?

Merkzeichen sind ein weiterer Bestandteil des sozialen Behinderungsrechts. Sie sind zum Teil ebenfalls in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung aufgelistet. Die Merkzeichen folgen dem Gedanken, dass manche Beeinträchtigungen, die vielleicht für sich noch nicht einmal einen Grad der Behinderung von 50 rechtfertigen, in ihrer Wirkung für das Alltagsleben besonders herausragen. Personen, denen ein solches Merkzeichen zuerkannt wurde, erhalten deshalb nochmals besondere Ausgleichsleistungen. Es gibt unter anderem folgende Merkzeichen:

  • Merkzeichen G: Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (zum Beispiel blinde und taube Menschen)
  • Merkzeichen aG: außergewöhnliche Gehbehinderung (zum Beispiel Notwendigkeit für Rollstuhl)
  • Merkzeichen B: Begleitung erforderlich
  • Merkzeichen Bl: blind
  • Merkzeichen Gl: gehörlos
  • Merkzeichen H: hilflos
  • Merkzeichen TBl: taubblind
Schwerbehinderung wird mit staatlicher Unterstützung etwas leichter
Foto: Vlada Karpovich

5. Welche Leistungen gibt es auf welcher Stufe? (Tabelle)

Die Leistungen bei Behinderung sind sehr vielfältig. Eine vollständige Darstellung würde hier zu komplex geraten. Überblicksweise sei darauf hingewiesen, dass es unter anderem Leistungen in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Geld (Geldleistungen und Steuererleichterungen), Alltagsleben (Parkplätze, uvm.), Mobilität (Begleitung, spezielle Kfz, etc.) gibt. Das im Sozialbereich tätige gemeinnützige beta-Institut hat eine hübsche tabellarische Übersicht erstellt. Ebenfalls das beta-Institut gibt jedes Jahr einen ausführlichen Ratgeber zum Thema Behinderungen und Nachteilsausgleich heraus (hier die Version für 2021).

Wie immer gilt außerdem: Beantragen Sie alles, was in Betracht kommt! Nicht Sie sollen Ihren Grad der Behinderung und die zugehörigen Leistungen feststellen. Lassen Sie das ruhig die Behörde machen. Wenn Sie dann mit dem Ergebnis unzufrieden sind, können Sie immer noch über weitere Schritte wie Widerspruch und Klage nachdenken.

6. Wo stelle ich einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung?

Zuständig für Anträge auf Zuerkennung eines Behinderungsgrades und der Schwerbehinderung inklusive der Ausstellung eines Ausweises sind die nach Landesrecht zuständigen Versorgungsämter. In Berlin ist das zum Beispiel das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo), in Brandenburg das Landesamt für Soziales und Versorgung (LASV).

4 wichtige Tipps für Pflegegrad und Pflegestufe

Pflegebedürftigkeit betrifft irgendwann fast alle alten Menschen. Für sie und ihre Angehörigen bleibt es dennoch oft ein schwer zu überblickendes Thema.

Tipp 1: Pflegegrad vs. Pflegestufe

Mehmet ist 60 Jahre alt. Jede Woche geht er seinen Vater Mustafa besuchen. Der wohnt alleine; Mehmet bringt Einkäufe und Zeit für eine Tasse Tee mit. Mustafa würde man auf den Blick als rüstigen Rentner bezeichnen. Er ist zwar schon 85 Jahre alt. Doch ist er noch flott auf den Beinen und überholt bei seinen täglichen Spaziergängen so manchen trödeligen Hipster auf den Straßen Berlins.

Mehmet hat allerdings ein Problem. Mustafa ist dement und dies schon im fortgeschritteneren Stadium. Manchmal kommt er von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause und Mehmet muss ihn suchen. Mustafa vergisst seine Medikamente, den Abwasch und die Lebensmittel im Kühlschrank. Er schließt teure Abos ab und kauft sich einen neuen Sportwagen. Mehmet müsste viel öfter zu Besuch kommen oder sein Vater bräuchte eine bessere professionelle Betreuung. Doch gibt es dafür genug Geld von der Pflegekasse?

Der Pflegegrad, bzw. die Pflegestufe entscheidet maßgeblich über die Lebensqualität im hohen Alter.
Der Pflegegrad, bzw. die Pflegestufe entscheidet maßgeblich über die Lebensqualität im hohen Alter.

Diesen Fall habe ich einem von mir bearbeiteten Mandant nachgezeichnet. Das liegt schon einige Zeit zurück und so stellte sich die Frage nach der Unterstützung von der Pflegeversicherung noch dem alten Recht der Pflegestufen. Damals gab es im Wesentlichen drei Pflegestufen. Die Einstufung erfolgte danach, wie viel Zeit die für eine Person notwendige Hilfe benötigt.

Die Pflegestufe I gab es erst bei 90 Minuten Pflegebedarf täglich. Für Pflegestufe II waren 180 Minuten nötig, für Pflegestufe III 300 Minuten. Bewertet wurden dabei vor allem körperliche Fragen, zum Beispiel ob die Person eigenständig essen, sich anziehen oder für Bewegung sorgen kann. Demenzkranke Menschen erreichten dabei häufig nicht einmal die Pflegestufe I. Mustafa kommt von seinen Spaziergängen nicht mehr nach Hause? Naja, jedenfalls kann er noch gehen. Er vergisst zu essen? Aber er kann doch noch kochen. Mustafa verprasst sein ganzes Geld? Egal, er kann noch schreiben und sprechen.

Aufgrund dieser Mängel wurde das System reformiert und zum Jahresbeginn 2017 die Pflegegrade eingeführt. Es gibt nun fünf Pflegegrade. Die Einstufung erfolgt zwar nach wie vor mittels einer Begutachtung und eines Fragebogens. Dort spielen aber psychische und kognitive Beeinträchtigungen der Selbsthilfefähigkeit der pflegebedürftigen Person eine deutlich größere Rolle als allein körperliche Gebrechen. Auch der reine Zeitaufwand für Pflegepersonal/Angehörige hat ein geringeres Gewicht als zuvor bei den Pflegestufen. Es kommt mehr auf Fähigkeit der Person an, ein selbstständiges Leben zu führen.

Tipp 2: Wann gibt es welchen Pflegegrad?

Für die Frage, wann es welchen Pflegegrad gibt, kommt es auf das Maß der Schwierigkeiten an, die eine pflegebedürftige Person daran hindern, ein selbstständiges Leben zu führen. Um dies zu bestimmen, wird die betroffene Person mittels eines Kataloges von Fragen aus sechs Lebensbereichen begutachtet.

Je nachdem wie viel Kriterien erfüllt werden und wie diese zu gewichten sind, werden die Pflegegrade zugeteilt (§ 15 Abs. 3 SGB XI). Zum Beispiel gibt es den Fragenkatalog auf der Seite des Sozialverbandes Deutschland [PDF].

Tipp 3: Wie viel Geld gibt es bei welchem Pflegegrad?

Das Sozialgesetzbuch XI sieht verschiedene Leistungen bei Pflegebedürftigkeit vor. Eine Übersicht findet sich in § 28 SGB XI. Es werden dabei verschiedene Leistungsarten mit ihren jeweiligen Höchstsummen unterschieden. Dazu folgende Übersicht:

PflegesachleistungenPflegegeldVollstationäre Pflege
Pflegegrad 1125 Euro
Pflegegrad 2724 Euro316 Euro770 Euro
Pflegegrad 31.363 Euro545 Euro1.262 Euro
Pflegegrad 41.693 Euro728 Euro1.775 Euro
Pflegegrad 52.095 Euro901 Euro2.005 Euro
Zeitpunkt der Datenlage: 26. Februar 2022

Bei der vollstationären Pflege fließt der Geldbetrag als Zuschuss an das Pflegeheim. Seit Januar 2022 gibt es hier außerdem einen weiteren besonderen Zuschlag. Die Beträge der Pflegesachleistungen erhalten Pflegebedürftige, die zu Hause von Angehörigen oder einem Pflegedienst betreut werden. Trotz des Begriffes „Sachleistungen“ fließt natürlich Geld.

Allerdings muss die Verwendung mit Rechnungen belegt werden und nur die belegte Höhe, nicht die angegeben Maximalsummen werden tatsächlich gezahlt. Pflegegeld erhält, wer ehrenamtlich Hilfe zu Hause für eine pflegebedürftige Person leistet (Angehörige, Freunde, Nachbar:innen). Neben diesen gibt es einige weitere Leistungen (zum Beispiel Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege, Entlastungsleistungen, Wohnraumanpassung, Hilfsmittel im Pflegeheim; siehe § 28 SGB XI).

Tipp 4: Antragstellung und Rechtsmittel (Widerspruch, Klage)

Den Weg zum Erhalt von Pflegegrad und den entsprechenden Leistungen möchte ich Ihnen in einer Schritt-für-Schritt-Anleitung darstellen:

  1. Antrag bei der Gesetzlichen Pflegeversicherung. Diese ist der Krankenkasse zugeordnet; Sie können sich also einfach an jene wenden. Ein formloser Antrag genügt, zum Beispiel eine einfache Nachricht per E-Mail.
  2. Die Pflegeversicherung wird Ihnen nun Unterlagen zuschicken und einen Termin zur Begutachtung der pflegebedürftigen Person vorschlagen.
  3. Die Begutachtung wird durchgeführt. Angehörige dürfen anwesend sein.
  4. Das Ergebnis trifft ein. Ein Pflegegrad wird per „Bescheid“ zuerkannt.
  5. Damit können Sie nun die einzelnen Leistungen der Pflegeversicherung beantragen!

Sind Sie mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht zufrieden, zum Beispiel weil wichtige Aspekte vergessen wurden oder zu geringer Pflegegrad zuerkannt wurde, empfehle ich Ihnen, Widerspruch einzulegen. Dazu genügt ebenfalls ein formloses Schreiben an die Pflegeversicherung. Informationen dazu müssten auch auf dem Bescheid zu finden sein. Vorsicht: Die Frist zum Widerspruch beträgt einen Monat. Sie können den Widerspruch alleine einlegen oder schon an dieser Stelle eine:n Anwält:in einschalten. Spätestens bei abgelehntem Widerspruch und dann notwendiger Klage ist dies sehr zu empfehlen.