Respekt, Kristina Hänel!

Foto: Stephan Röhl/Heinrich-Böll-Stiftung CC BY-SA 2.0

Sie ist Ärztin, Feministin und passionierte Triathletin. Geht es nach der deutschen Justiz, ist sie seit Januar 2021 auch rechtskräftig verurteilte Straftäterin. Wieso es gilt, Kristina Hänel trotzdem Respekt zu zollen.

In ihrer Praxis für Allgemeinmedizin in Gießen führt sie auch unter anderem Schwangerschaftsabbrüche im Rahmen des § 218a StGB durch. Auf der zur Praxis gehörenden Website informierte Kristina Hänel interessierte Patientinnen hierüber. Sie erklärte zudem in sachlich-nüchterner Weise die verschiedenen Methoden und den Ablauf eines Schwangerschaftsabbruches. Nichts Ungewöhnliches sollte man denken. Doch § 219a StGB verbot es niedergelassenen Ärzt*innen bis zum 28. März 2019 öffentlich darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen; bis heute dürfen sie keine Informationen über die Art und Weise der Behandlung öffentlich anbieten (Abs. 4 Nr. 2).

Der fast vergessene § 219a StGB

Interessanterweise hat § 219a StGB lange Jahre niemanden groß interessiert. Bis 2014 lag die Zahl der diesbezüglichen Ermittlungsverfahren bei 0 bis 20 pro Jahr. Verurteilt wurde fast niemand. Wenn Betroffene die Information von ihrer Website nahmen, wurde das Verfahren in der Regel eingestellt.

Geändert hat sich das mit Yannic Hendricks und Klaus Günter Annen. Der Zeitvertreib dieser beiden Männer besteht nach eigenen Angaben darin, im Internet Jagd auf Websiten wie die von Kristina Hänel zu machen. Bei einem Treffer schreiben sie eine Anzeige an die Polizei oder Staatsanwaltschaft. So schoss die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen § 219a StGB ab 2015 in die Höhe. In einigen dieser Jahre dürften alle (!) geführten Ermittlungsverfahren auf Anzeigen von Hendricks oder Annen zurückgehen.

Ärzt*innen können einer Verurteilung immer noch meistens entgehen, indem sie die entsprechende Information einfach von ihrer Website nehmen. Doch manche weigern sich aus ideellen Gründen dies zu tun. Sie gehen davon aus, dass jede Frau das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper besitzt, wozu auch das Recht auf sachliche Information über den Schwangerschaftsabbruch gehört.

Recht auf körperliche Selbstbestimmung

Auch Kristina Hänel denkt so. Am 12. Dezember 2019 wurde sie dafür vom Landgericht Gießen zu einer Geldstrafe von 2.500 Euro verurteilt (25 Tagessätze mal 100 Euro). Das Urteil ist rechtskräftig, da das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die hiergegen gerichtete Revision am 15. Januar 2021 zurückwies.

Das ist eine traurige Sache; dennoch möchte ich das Urteil des Landgerichts Gießen vom 12. Dezember 2019 und zur selben Sache ebenfalls Landgericht Gießen, Urteil vom 12. Oktober 2018, zur Lektüre empfehlen, auch für Laien. In Letzterem geht das Landgericht ausführlich auf die gesellschaftliche Lage zum Thema Schwangerschaftsabbruch ein (Randnummern 24-48, insbesondere 47 f). Es scheint fast zu bedauern, Kristina Hänel verurteilen zu müssen.

In Ersterem hat das Landgericht den Inhalt von Kristina Hänels Homepage 1:1 in das Urteil kopiert (Randnummer 20-71); Interessierte finden nun dort alle Informationen, die auf der Website der Ärztin verboten sind.

Das wirft zwei Fragen auf

Erstens, macht sich das Landgericht Gießen über Yannic Hendricks und Klaus Günter Annen lustig?

Zweitens, darf Kristina Hänel das Gerichtsurteil auf ihrer Website verlinken? Was soll man dazu noch sagen? Respekt für Kristina Hänel! Solidarität mit ihr und den anderen betroffenen Ärzt*innen.